Eine weise alte Frau sagte zu mir: "Du brauchst keine Psychotherapie, du wickelst jeden Therapeuten um den Finger und erzählst dem, was der hören will. Du kannst nur über die Körperebene mit und an dir arbeiten".
Sie selbst auf den Spuren der Farbtherapie und Fußreflexzonenmassage wollte mir gleich diese Therapie anbieten. Intuitiv spüre ich: "Das will ich aber nicht!" Brav, weil ich einfach Hilfe brauche, melde ich mich zu einer Gesprächstherapie an. Wöchentliche Sitzungen beginnen, wo ich am Ende oftmals frage: "Wer von uns ist eigentlich Therapeut?"
Nach gut einem halben Jahr dämmert mir, dass die alte Frau wohl recht hatte.
Nach einer Darmoperation und Krebskur, fotografiere ich im grünen Samtkostüm eine Hochzeit und gebe einem netten Mann, der mich zum Tanz auffordert einen Korb. Ich hätte so gerne getanzt, doch was würden die Leute von mir denken, und überhaupt, wie sähe ich denn aus, ich kann doch nichts mehr, hab doch alles verlernt, mein letzter Tanzkurs liegt wohl in einem anderen Leben. Ich leide und tanze in meinem Inneren. Alles in mir schreit und will sich zur Musik bewegen.
Wochen später betrete ich mit braunem Rock und Rollkragenpulli, Schuhen die eher wie Wanderschuhe aussehen, als wie Tanzschuhe, den Raum der Tanzschule. Eine von Vielen. Die meisten jung und einige auch als Paar.
Die Tanzstunden in der Magersuchtszeit fallen mir ein. Ich war damals, wie auch am Tag meines "Neubeginns" ohne Kontakt zu meinem Körper. Irgendwie habe ich ihn in all den Jahren wie einen Mietwagen benutzt - nur geliehen -
eine Schrottkarre, ein untaugliches Gefährt, das nur aus dem Grund existierte um meinen Kopf von hier nach da zu bringen. Zumindest erledigte mein Körper den Job so lange, bis meine chronischen Rückenschmerzen, Darmschmerzen und Kopfschmerzen so übermächtig wurden, dass ich nicht mehr schlafen konnte und auch so einiges an Arbeit liegen bleiben musste.
Als ich den Raum betrat und einen Gastherrn an die Seite bekam, erinnerte sich mein Körper schnell an schon einmal gemachte Schritte. Foxtrott, Langsamer Walzer, Wiener Walzer, Chachacha, Jive, Rumba, Salca, Diskofox, Samba... Der Klang der Musik.
Der nette Gastherr hat Eheprobleme und sucht vielleicht auch eine "Neue". Ich will einfach nur tanzen, hab doch selbst genug Probleme...
Der Rollkragenpullover entpuppte sich als grobe Fehlentscheidung, im Raum war es drückend heiß und die Schuhe rutschten nicht.
Oft musste ich meinen Gastherrn mit anderen Frauen teilen. Aber ich halte durch. Woche für Woche.
Ich bin einfach nur die Angelina. Mehr weiß keiner von mir. Das tut gut.
Oft ging ich Schmerzverzerrt zum Tanzkurs, oft auch von einer Schmerztablette betäubt.
Aber ich war voller Sehnsucht, betend, zweifelnd, hoffend und ganz vom Wunsch beseelt, mein Leben in den Griff zu bekommen. Ich erwischte mich sogar bei dem verwegenen Gedanken, ohne Ärzte meine Schmerzen und Leiden zu heilen, aus eigener Kraft heraus und mit meinem Willen. Endlich glaubte ich der alten weisen Frau, die einst zu mir sagte: "Psychotherapie hilft dir nicht, du kannst nur über den Körper an deine Themen gelangen."
Jahre ging ich Irrwege, wie in einem Labyrinth, die Suche nach der Mitte aber nie aus den Augen verlierend.
Ich spürte, dass es in diesem Leben noch andere Formen von Einsicht gibt, die wir nur über den Körper erfahren können.
Der Tanz war ein Augenöffner, überhaupt als ich dann den freien Tanz bei Biodanca fand und endlich den Weg zur Tanztherapie.
Ich nehme Kontakt auf, bin hin und her geworfen von dem was ich will und dem was mein Alltag als Bäuerin, Mutter von vier Kindern, Chefin der Knopfmacherstube und des Sturm-Archehofes, Fotografin.... von mir verlangt.
Im November 2007 habe ich fast durchgedreht, als ich mir nicht erlaubte mit dieser Arbeit zu beginnen. Ich gab mich mit den wöchentlichen Tanzkursen in Standard und Latein zufrieden. Hauptsache ich tanze, tanze...
Ein Jahr gehe ich mit dem Gedanken zur "Tanztherapeutin" schwanger. Im Jahr 2008 mache ich nicht mehr den Fehler meinen Ehemann oder irgendwen zu fragen. Ich melde mich einfach an.
Doch gleich die erste Woche mit Kontaktimprovisation fällt für mich aus, weil ich im Krankenhaus bin. Stunden verbringe ich in meinem Zimmer und male und meine Gedanken sind bei den Menschen in Ratzenried, die mit der Ausbildung zur Tanz und Bewegungstherapie begonnen haben. Ich fühle mich fast körperlich anwesend, während ich da meine Bilder male und trage noch eine große Bürde mit in diese neue Zeit.
Ich bin eine Ehebrecherin geworden und liebe, liebe, liebe und sage auch da mein großes "JA".
Nur das Leben und die Liebe zählt.
So betrete ich am Ostermontag, nach einer durchtanzten Ballnacht den Tanzraum in Ratzenried.
Nicht nur die schwäbisch-allgäuische Landschaft ist mir heimatlich entgegen gekommen, es war ein Heimgehen von der ganzen Angelina.
W E N D E P U N K T ! ! !
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Christine (Samstag, 27 Oktober 2018 22:14)
Ich bin zufällig an diese Arbeit gekommen, Sie kommt sicher aus deiner Abschlussarbeit oder wird ein Teil davon? Ich lobe den Tanz habe auch ich vor vielen Jahren in meine Arbeit mit rein genommen. Es war für mich fast das Beste in meinem Leben die Zeit in Ratzenried und ich denke oft zurück. Ich insgesamt 10 Jahre da, wenn ich alles zusammen zähle. Dies ist ein Anlass für mich auch wieder mehr zu Tanzen und vor allem das Leben zu genießen. Ich wünsche dir viel Freude in Ratzenried mit Clara, Rico und Dorle. Vor allem Gesundheit für dich.
Greti Armbruster, krumpendorf, begegnung 19.6.2021 (Montag, 21 Juni 2021 15:20)
Deiner Stimme zuzuhören und Dein Gesicht zu sehen tut gut. Liebe Grüße, alles Gute Deinem Mann